Im Leeren Raum
Exhibition in gallery Im Leeren Raum
, Berlin May 2019

Geschlecht, was verstehen wir eigentlich unter diesem Begriff? Wenn wir versuchen uns diesem Begriff zu nähern kommen wir an den von Simone de Beauvoir, in Das andere Geschlecht schon 1949 diskutierten Geschlechterungleichheiten und dem damit einhergehenden Sexismus nicht vorbei. Zuerst einmal müssen wir uns über die bis in die heutige Zeit reichende Ungleichheiten der beiden gesellschaftlich verankerten Geschlechter bewusst werden und diese mit Beispiel des Berufslebens verdeutlichen und auch in Hinblick auf sexuelle Orientierung beleuchten. Weiter schauen wir uns den Xenofeminismus als Paradebeispiel für den intersektionellen Feminismus an und erklären die Ziele unseres Projekts.

Mit Das andere Geschlecht stellt de Beauvoir die Weichen für den heutigen Geschlechterdiskurs. Sie diskutiert und analysiert als eine der ersten Frauen (Männer hatten zuvor schon klägliche Versuche unternommen) die Situation der Frauen in der patriarchalen Welt. Ein Grund für die zweitklassige Stellung der Frau in der Gesellschaft ihr zufolge ist, dass die Frauen nur zerstreut unter den Männern leben und dazu verdammt sind das ewig andere zu sein „…Sie wird bestimmt und unterschieden mit Bezug auf den Mann…“ So können sie ihre Rechte nicht gemeinsam einfordern. Um zu verdeutlichen wie rückständig aber trotzdem gesellschaftsprägend das Patriarchat ist zitiert sie Aristoteles: „Wir müssen das Wesen der Frauen als etwas betrachten, was an einer natürlichen Unvollkommenheit leidet.“ Mithilfe des Existenzialismus und der darin verankerten Transzendenz erklärt sie das sich selbst überschreiten um z.B. ein selbsterfülltes aber vor allem selbstbestimmtes Leben zu führen. Dieser wichtige Punkt ist allerdings für Frauen, besonders aus unteren Klassen nicht so einfach zu erreichen, da diese vor vielen anderen Hindernissen stehen. Die Überwindung der Strukturen, wenn auch mit erheblichem Aufwand ist ihr zufolge aber schon möglich. So wird sie selbst von einer jahrelang überzeugten Sozialistin im Laufe ihres Lebens zu einer Feministin, da sie im Feminismus den einzigen Weg sieht die zweitklassige gesellschaftliche Stellung der Frau zu überwinden. Der allgemeine Glaube der Intellektuellen, die Frauenrechte würden ganz selbstverständlich Hand in Hand mit dem Sozialismus gehen wurde derzeit durch verschiedene Beispiele in unterschiedlichen Ländern zerschlagen. Nichts desto trotz bildeten sich Feministischen Bewegungen von Olympe de Gouges und ihrem Gleichstellungsgesuch Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791) über den Kampf für das Frauenwahlrecht bis hin zur heutigen #Metoo Debatte im großen oder kleinen Stil auf der ganzen Welt. Frauen wollten und wollen nicht mehr das ewig Andere bzw. zweite Geschlecht sein. In Chile erreichte die feministische Bewegung die gegen Frauenmorde, Gewalt, Missbrauch und sexistische Erziehung an Bildungseinrichtungen kämpfte 2018 den Präsidenten, der postum versprach entsprechende Gesetzesänderungen gegen diese Widrigkeiten auf den Weg zu bringen. Kritiker*innen zufolge greifen diese allerdings nicht weit genug und bringen keine substantielle Veränderung.


heutige Zeit. Sehen lässt sich dieses Ungleichgewicht beispielsweise am unbereinigten, europäischen Gender Wage Gap Die von Simone de Beauvoir beschriebenen Ungleichheiten der Geschlechter bestehen bis in die von 16,2% (Eurostat 2018). Deutschland belegt mit 21,5% übrigens den drittschlechtesten Platz, nur Tschechien und Estland sind noch weiter hinten im Ranking. Zusätzlich werden Männer in weiblich dominierten Bereichen noch gefördert und steigen schneller auf. Hier spricht man vom glass escalator effect (Williams, 2013: 611). Ihm zufolge werden Männern gemeinhin führungskräftigere Eigenschaften zugesprochen und demzufolge vorgezogen. Einer anderen Studie pink glass ceiling (Laurent & Mihoubi, 2012: 524) zufolge stoßen homosexuelle Menschen auf eine rosa gläserne Decke, die ihnen den beruflichen Aufstieg versagt. Erklärt wird dieser Effekt durch die sexuelle Orientierung als eine wichtige Komponente der Geschlechtsstereotypen und den damit einhergehenden Zuschreibungen der Kompetenzen (Kite & Deaux, 1987: 94). Stereotypes maskulin-männliches Verhalten wird also belohnt und Stereotypes weiblich-feminines Verhalten sanktioniert. Das Performen von stereotypen Geschlechternormen ist also ein wichtiger Angelpunkt um die gesellschaftlich-patriarchalen Ordnung aufrecht zu erhalten und wird dementsprechend als „natürlich“ propagiert. Diese Rollen werden selbst heute noch stark propagiert, auf YouTube gibt es z.B. unzählige Videos zum richtigen Verhalten von Geschlechterstereotypen, die Fragen wie: „Wie muss ich mich verhalten, wenn ich eine Freundin/Freund haben möchte?“ beantworten. So wird Geschlecht immer wieder in Rollenbilder gepresst und wiederholt. Zugang zu diesen Videos ist uneingeschränkt per Mausklick möglich und toxisch für junge Menschen, die unbewusst genormte Verhaltensweisen annehmen. Doch ist die binäre Einordung von Geschlecht und den damit einhergehenden Zuordnungen von Kompetenzen noch zeitgemäß (wenn sie es jemals gewesen ist)? Ist es nicht an der Zeit Wesenszüge, Verhalten und Fähigkeiten von sexueller Orientierung und tradierten Vorstellungen von dichotomen Rollenbildern zu entkoppeln? Auch muss nochmal über Geschlecht im Hinblick auf transgeschlechtliche fluide Übergänge nachgedacht werden, denn was ist es, dass das Geschlecht bestimmt? Kann eine Geschlechterzuschreibung ausschließlich durch phänotypische Merkmale vorgenommen werden, sowie es die derzeitigen gesellschaftlichen Normen verlangen? Was ist mit der chromalen oder hormonellen Zuordnung? Warum wird trotz mittlerweile anerkannten dritten Geschlecht alles was der binär geschlechtlichen Norm wiederspricht pathologisiert? Verbleibt die Einführung des dritten Geschlechts nicht in der Logik der Dichotomisierung persistent und nivelliert die Möglichkeit des Geschlechts als Kontinuum? Abgesehen davon: müssen wir ein Geschlecht haben (wollen)? Und wer bestimmt, dass alle die nicht in das binäre System passen (wollen) in ein einziges Geschlecht zusammengefasst werden können und muss man unbedingt ein Geschlecht haben?


Xenofeminismus verlangt eine Welt in der Geschlechtergerechtigkeit und feministische Emanzipation zum universellen Istzustand avanciert und unabhängig von Rassifizierung, Befähigung, ökonomischem Stand oder geographischer Lage die Bedürfnisse aller Menschen vereint und die Wiederholung der Gegenwart vehement verneint. Im Manifest des Xenofeminismus werden wir, die wir alle nicht in das heteronormative binäre Geschlechtersystem hineinpassen wollen dazu aufgefordert dieses aktiv zu bekämpfen und uns nicht damit zu entschuldigen, „dass wir so geboren sind“, als ob wir eine Segnung durch die Natur brauchen um Akzeptanz zu erfahren. So sollen wir das gegebene als Mythos enttarnen. „…In dem Moment, als die Möglichkeit der transgeschlechtlichen Übergänge wirklich und bekannt wurde, bekam die Gruft unter dem Schrein der Natur Risse und Geschichte/n, die nach einer neuen Zukunft riefen, entflohen der alten Ordnung des «biologischen Geschlechts»…“ (http://laboriacuboniks.net 23.01.2019).

Auf diese theoretischen Bausteine wollen wir uns als No_Gap* mit unserer Arbeit stützen und uns an die Öffentlichkeit wenden. Unsere Ziele sind es die durch konservative Kräfte vermeintlich natürliche Ordnung zu durchbrechen und einem Publikum, das sich vielleicht außerhalb dieser Sphäre bewegt einen anderen bzw. einen weiteren Weg zu eröffnen. So soll mithilfe der Bilder ein Dialogfeld eröffnet werden, dass von Fragen und gegenseitigem Austausch lebt und einen Beitrag zur Dekonstruktion und Neuerfindung von Geschlechtern im Zusammenspiel mit Gesellschaft hervorbringt und dementsprechend nicht auf eine komplizierte Frage mit einer einsilbigen Antwortet reagiert.